Webrampe hat Joy Bausch und Dominik Bedorf bei ihrem Wahlgang am Sonntag begleitet. Beide haben Probleme mit dem Sehvermögen und sind deshalb mit Begleitung wählen gegangen.
Joy Bausch steht mit seiner Frau in der Wahlkabine. Bei den Bundestagswahlen 2013 macht sie das Kreuzchen für ihn. “Das ist mir lieber als jemand, der zwar offiziell Wahlhelfer, mir aber trotzdem fremd ist”, sagt der Düsseldorfer. Er ist blind und eigentlich Mitglied im Deutschen Blinden-und Sehbehintertenverband. Die schicken all ihren Mitgliedern ohne Anfrage Wahlschablonen zu. Dieses Jahr haben sie Joy Bausch wegen seines Umzuges vergessen. “Ich finde die Wahlschablonen absolut klasse. Das ist Barrierefreiheit in Reinkultur. Es tut gut, wenn man so eine Aktion auch alleine machen kann”, so der Wähler. Auch Nicht-Mitglieder konnten schon Wochen vor der Wahl die Schablonen bei dem Verband bestellen. Die Kosten für die Herstellung übernimmt laut Wahlleiter die Regierung. In den Wahllokalen selbst liegen aber keine dieser Schablonen aus.
Geheime Wahlen für Blinde
Nur mit Wahlschablonen können Blinde geheim wählen. Das erfordert aber eine zusätzliche Vorarbeit. Weil die Schablonen nur bundesweit hergestellt werden, stehen auf ihnen keine Parteien, sondern nur Nummern. Der Wähler muss sich vorher durch ein Audio oder ein Dokument mit Blindenschrift über die Reihenfolge der Parteien in seinem Wahlkreis informieren. “Das ist schon eine Schwierigkeit, sich vorher alles durchzuhören und zu merken – aber man weiß ja, was man wählt”, sagt Bausch. In der Wahlkabine kommt der normale Stimmzettel in die Wahlschablone. An einem Loch auf dem Stimmzettel und einer fehlenden Ecke auf der Wahlschablone in der oberen rechten Ecke merkt der Blinde, ob der Stimmzettel richtig drin liegt. Jetzt gibt er durch die Löcher neben der Nummerierung auf der Schablone seine zwei Stimmen ab. Dabei kann es passieren, dass der Stift die Wahlschablone auch berührt. Um seine Wahl weiterhin geheim zu halten, soll der Wähler seine Wahlschablone wieder mit nach Hause nehmen. Natürlich funktioniert das Ganze auch per Post.
Der Event-Faktor
“Für mich fehlt bei der Briefwahl immer der Event-Faktor”, sagt Joy Bausch. Für die Wahlbenachrichtigung gibt es allerdings noch keine barrierefreie Lösung, was schon vielfach kritisiert wurde. Der Düsseldorfer sieht dies eher unkritisch: “Natürlich müsste in einem Idealzustand jedes offizielle Dokument in Blindenschrift verfasst sein. Aber wir sind es gewohnt, uns Briefe vorlesen zu lassen.” Die Wahlbenachrichtigung könne man daher ruhig so lassen.
Ein “weißes Blatt” zum Ankreuzen
Briefe können auch eingescannt werden und ein spezielles Programm liest den Inhalt vor.” Aber nicht jeder Brief ist einlesbar”, sagt Dominik Bedorf. Je nach Schriftart und Schriftgröße gebe es dabei Probleme. Der Weinheimer ist sehbehindert und schwöre daher auf sein soziales Netzwerk – Menschen, denen er in solchen Fällen vertrauen kann. Auch er ging am Sonntag in Begleitung seiner Frau ins Wahllokal. “Ich wäre über die Stufen gestolpert, wenn meine Frau mich nicht in den Arm genommen und mich hoch geführt hätte”, sagt Dominik Bedorf. Seine Augen können sich nicht schnell genug an die Lichtverhältnisse anpassen. Wenn etwas lediglich dunkler für alle anderen wird – sieht er nur noch schwarz und wenn er von einem dunklen Raum nach draußen geht, ist für ihn alles gleißend hell. Bei vergangenen Wahlen habe er wegen schlechter Lichtverhältnisse auch schon “ein weißes Blatt” vor sich liegen gehabt. Dann wieder nach vorne gehen zu müssen und zu sagen: “Entschuldigung, aber ich kann grad nicht wählen – ich sehe da drin nichts”, koste natürlich Überwindung. Der Weinheimer müsse sich oft erklären, weil die Menschen ihm seine Sehbehinderung nicht ansehen. Mit dem Stimmzettel selbst komme Bedorf gut zurecht: “Schwarze Schrift auf weißem Grund – was will man mehr?” Die meisten Sehbehinderten, die er kenne, hätten mit dieser Variante am wenigsten Probleme – “deshalb sind die Wahlzettel ja auch so konzipiert.”
Assistenz-Hund in der Wahlkabine
Der Weinheimer hat am Sonntag zum ersten Mal seinen Diabetikerhund mit in ein Wahllokal genommen. Von den Reaktionen war er positiv überrascht. “Wir haben von den Leuten nur nette Worte gehört. Zum Beispiel: Was für ein süßer Hund.” Das kenne er auch ganz anders. Besonders im öffentlichen Nahverkehr sei er nicht als Assistenz-Hund akzeptiert worden. Bedorf durfte seinen Hund bis mit in die Wahlkabine nehmen. Ein Diabetikerhund kann die Unterzuckerung seines Herrchens frühzeitig erkennen – Alarm schlagen und im Notfall auch die Medikamente bringen.
Menschlichkeit statt Routine
Das Wahllokal in Weinheim – die Albert-Schweizer-Schule – war “nicht barrierefrei”. Die Stadt kündigte das bereits durch die Wahlbenachrichtigung an. Außerdem standen darauf Rufnummern für die Ummeldung in ein barrierefreies Wahllokal und für die Wahlschablonen. “Barrierefreiheit ist kein Bestandteil unserer einmaligen Schulung”, sagt Wahlhelfer Gunnar Fuchs. “Aber es gibt ja auch noch so etwas wie Menschlichkeit”, man könne zum Beispiel bei Rollstuhlfahrern spontan mit anpacken. Genau davon profitierte Luke an diesem Tag. Zwei Passanten haben das Baby im Kinderwagen die Treppen mit hochgetragen.
Das Wahlrecht wahrnehmen
Dominik Bedorf: “Jeder sollte unter den vielen Möglichkeiten zu wählen, seinen Weg finden.” Neben der Briefwahl und der Wahl am Sonntag gebe es in den meisten Kommunen auch die Möglichkeit, in der Woche vor dem Wahltag ins Bürgerbüro zu gehen. “Ich selbst habe das schon ausprobiert. Ich wurde von einer Assistenz in das Bürgerbüro gebracht und konnte so meine Stimme abgeben, ” so Bedorf. Bei dieser Variante ist der Wähler zeitlich flexibler und muss nicht am Wahlsonntag vor Ort sein, wenn alle in die Wahllokale stürmen.